Sars-CoV-2:

Kleine Kinder mit großen Virusmengen Immer mehr Studien beschäftigen sich damit, welche Rolle Kinder in der Corona-Pandemie spielen.
(Foto: dpa Picture Alliance; ZUMA Press/obs)
Eine weitere Studie zeigt, dass sehr junge Menschen eine hohe Viruslast aufweisen können. Doch was heißt das für die Ansteckungsgefahr in Schulen und Kitas?

Von Berit Uhlmann

20. August 2020, 6:18 Uhr

Während immer mehr Länder sich darauf vorbereiten, ihre Schulen wieder zu öffnen, könnte eine neue Studie die Diskussion um die Infektiosität von Kindern weiter befeuern. Wissenschaftler aus Boston zeigten erneut, dass Kinder große Mengen von Sars-CoV-2 im Nasen- und Rachenraum tragen können. Mehr noch: Bei ihnen sei eine höhere Virenlast entdeckt worden als bei Erwachsenen, die auf einer Intensivstation behandelt werden mussten.

"Stellen Sie sich ein Krankenhaus vor mit all den Vorsichtsmaßnahmen, unter denen schwer kranke Erwachsene behandelt werden. Und doch ist die Viruslast dieser Klinikpatienten signifikant geringer als die eines 'gesunden Kindes', das mit einer großen Menge von Sars-CoV-2 herumläuft", sagt Hauptautor Lael Yonker vom Massachusetts General Hospital in einer Pressemitteilung. Das klingt recht bedrohlich, ebenso wie der Titel der Mitteilung: "Forscher zeigen, dass Kinder stille Verbreiter des Virus sind". Also alles wieder offen, während sich Familien auf das neue Schuljahr freuen?

"Irreführend", kommentiert Andrew Preston, Mikrobiologe der University of Bath. Es werde suggeriert, "dass Kinder generell mit hoher Viruslast umherlaufen, obwohl die Studie sich auf eine kleine Anzahl symptomatischer Kinder konzentrierte. Doch diejenigen, die Symptome zeigen, werden isoliert und laufen nicht in den Schulen herum".

In der im Fachblatt The Journal of Pediatrics veröffentlichten Arbeit wurden Nasen- und Rachenabstriche von 49 jungen Menschen im Alter bis zu 21 Jahren untersucht. Die Viruslast war überwiegend hoch - bei Kleinkindern ebenso wie bei den Jugendlichen. Die Forscher zeigten auch, dass kleine Kinder verglichen mit Jugendlichen und Erwachsenen weniger ACE2-Rezeptoren aufweisen, über die das Coronavirus in die Zellen gelangt. Doch unabhängig davon können auch sie im Falle einer Ansteckung eine große Menge Viren tragen.

Doch folgt aus all dem, dass Kinder den Erreger auch leichter verbreiten? Zu dieser heftig diskutierten Frage schreiben die Autoren: "Diese Studie zeigt, dass Kinder eine potenzielle Ansteckungsquelle in der Sars-CoV-2-Pandemie sein könnten - ungeachtet ihrer milderen oder asymptomatischen Verläufe". Auch daran gibt es Kritik. Die Studie sagt etwas über Infektionen bei Kindern aus, erläutert Simon Clarke, Mikrobiologe der Universität Reading: "Aber sie zeigt in keinster Weise, dass Kinder das Virus auf Erwachsene oder andere Kinder übertragen". Darauf ist die Arbeit überhaupt nicht ausgelegt.

Dass Kinder andere Menschen anstecken können, steht außer Frage. Ungewiss ist aber weiterhin, in welchem Ausmaß sie zum Infektionsgeschehen beitragen. Der genaue Zusammenhang zwischen der gemessenen viralen RNA und der Infektiosität ist nicht klar. Über das Risiko einer Ansteckung entscheiden zudem weitere Faktoren, wie die Menge der beim Sprechen, Niesen und Husten ausgeschiedenen Erreger und das Hygieneverhalten der Kinder. Die europäische Seuchenschutzbehörde ECDC schreibt: "Es gibt keinen Nachweis, dass Kinder die Haupttreiber der Sars-CoV-2-Übertragungen sind". Letztlich kommt auch der Vergleich zwischen Kindern und Erwachsenen mit einem Fragezeichen daher. Die Forscher haben versucht, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Viruslast am Anfang der Erkrankung am höchsten ist und dann oft abnimmt. Um der besseren Vergleichbarkeit willen haben sie daher die Laborwerte der Kinder und Erwachsenen noch einmal in Untergruppen unterteilt: jene, die aus den ersten zwei Tagen der Erkrankung stammen, andere, die vom dritten bis siebten Tag erhoben wurden und weitere, die zu einem noch späteren Zeitpunkt gewonnen wurden. Mit dieser Unterteilung aber schufen sie teils sehr kleine Gruppen; in einer gibt es nur zwei Messwerte. Statistisch ist bei solch kleinen Mengen schwer zu bewerten, welche Rolle der Zufall spielt.

Ein ähnliches Problem hatte bereits das Team um den Berliner Virologen Christian Drosten, als es die Viruslast in etlichen verschiedenen Altersgruppen verglich. Um diese Arbeit hatte es heftige Diskussionen gegeben.


Quelle: © SZ vom 20.08.2020